(de) Die Arbeit nieder!

Stefan Merten (merten@dfki.uni-kl.de)
Thu, 30 Oct 1997 15:13:16 +0100


A AA AAAA The A-Infos News Service AA AA AA AA INFOSINFOSINFOS http://www.tao.ca/ainfos/ AAAA AAAA AAAAA AAAAA

-----BEGIN PGP SIGNED MESSAGE-----

Hi!

The following is a review essay of three books.

I saw it in CONTRASTE Sep. 97, and was going to scan it, but by chance I found it on

http://www.magnet.at/krisis/texte/schandlarbeit.html

Mit li(e)bert"aren Gr"u"sen

Stefan

- -- 8< -- 8< -- 8< -- 8< -- 8< -- 8< -- 8< -- 8< -- 8< -- 8< -- 8< -- 8< --

"Wenn die Besudelung durch Arbeit vor sich geht, ist der Dreck kein Dreck."(Guenther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, Band III.)

DIE ARBEIT NIEDER!

Von der Lohnarbeit zum produktiven Muessiggang. Ein Rezensionsessay

von Franz Schandl

"Stimmt an das Lied der hohen Braut,Die schon dem Menschen angetraut,Eh' er selbst Mensch ward noch.Was sein ist auf dem Erdenrund,Entsprang aus diesem treuen Bund.Die Arbeit hoch!"

So lautet die erste Strophe des "Lied(s) der Arbeit" aus dem Jahre 1867. Eine "gesungene Kulturgeschichte" nannte Karl Kautsky sie. Auch heute noch wird diese Hymne der oesterreichischen Arbeiterbewegung auf den Parteitagen der SPOe intoniert.

Gerade in der Arbeiterbewegung wurde die Arbeit sakralisiert. "Die Arbeit adelt den Menschen" hiess es dort, der Arbeiterphilosoph Joseph Dietzgen bezeichnete sie gar als den "Heiland unserer Zeit". Im Heldenlied der Arbeiterklasse musste deren spezifische Werktaetigkeit - einst als "Lohnsklaverei" verspottet - eine positive Wendung erfahren. Aus der Kritik der Arbeit wurde ein Bekenntnis zu ihr, aus der Ueberwindung des Arbeiterdaseins dessen Verallgemeinerung. Die Arbeiterbewegung war so immer eine Arbeitsbewegung, eine Bewegung fuer die Lohnarbeit, nicht gegen sie. Dieser Ethos ist ideologisches Allgemeingut geworden. Arbeit ist des Menschen Sinn und Grundlegung. "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen", lautet eines der menschenfeindlichsten aller Sprichwoerter. Ohne Arbeit ist die materielle Existenz des buergerlichen Individuums jedenfalls einsturzgefaehrdet. Alles dreht sich um sie. "Tatsaechlich sind die "Arbeitsplaetze" heissenden Produkte so wichtig, dass Politiker, die nie welche erfinden oder organisieren, ebensogut gleich ihren Hut nehmen koennen. Die keine versprochen haben, gibt es keine. Freilich auch keine, die auf die Dialektik von heute: die Gegenlaeufigkeit von steigender Technik und sinkendem Bedarf an Arbeitern bzw. Arbeitsplaetzen eine Antwort wuessten", schreibt Guenther Anders im Manuskript des dritten Bandes der "Antiquiertheit".

Die gesellschaftlichen Erschuetterungen haben daran bis jetzt wenig geaendert, Aufbau- und Krisenzeiten den Mythos sogar gestaerkt. Trotz vieler Differenzen stellt man sich in der Politik von rechts bis links gegenwaertig eine gemeinsame Hauptfrage: Wie Arbeit schaffen? - Dass diese geschaffen werden muss, sie Voraussetzung und Bedingung des Lebens ist, ja zu sein hat, ist indes unhinterfragter Konsens. Die Linke setzt noch eines drauf, fordert sinnvolle und nichtkrankmachende Arbeitsplaetze, ja sogar Mitbestimmung im Produktionsprozess. Damit hat es sich dann aber schon. Einer grundsaetzlichen Debatte ueber den Stellenwert der Arbeit wird meist aus dem Weg gegangen.

Nicht so in den von uns hier vorgestellten Schriften. Manchmal entdeckt man sogar Bemerkenswertes bei den Gruenen. So etwa in der von der Gruenen Akademie in Graz herausgegebenen Broschuere "Sinn der Arbeit", wo abseits offizieller Parteilosungen (etwa der unertraeglichen Forderung nach "Arbeit durch Umwelt") eine fundamentale Kritik der Arbeit versucht und der Muessiggang propagiert wird.

In dieser gelungenen Zusammenstellung finden sich neben dem Manifest "Arbeiterinnen! Arbeiter! Schiebt einmal eine ruhigere Kugel", Texte von Luise Gubitzer und Frigga Haug, Ulf Brunnbauer und Christian Wabl, Ursula Schmiederer und Erich Ribolits. Auch die wohl erste bedeutende Streitschrift gegen die Arbeit, naemlich Paul Lafargues "Das Recht auf Faulheit" aus dem Jahre1880 ist auszugsweise abgedruckt. Marxens Schwiegersohn erkannte in der Verherrlichung der Arbeit naemlich ein verderbliches Dogma: "Eine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Laender, in denen die kapitalistische Zivilisation herrscht, eine Sucht, die das in der modernen Gesellschaft herrschende Einzel- und Massenelend zur Folge hat. Es ist dies die Liebe zur Arbeit, die rasende, bis zur Erschoepfung der Individuen und ihrer Nachkommenschaft gehende Arbeitssucht. Statt gegen diese geistige Verirrung anzukaempfen, haben die Priester, die Oekonomen und die Moralisten die Arbeit heiliggesprochen."

*

Der interessanteste Beitrag in der erwaehnten Artikelsammlung stammt vom Wiener Berufsbildungsforscher Erich Ribolits, der zum selben Thema auch ein Buch, "Die Arbeit hoch?", vorgelegt hat. Darin erzaehlt und analysiert er die Geschichte der Herausbildung von Arbeit und Arbeitsethos, bewertet deren gesellschaftliche Bedeutung, beschreibt ihren Verfall in der heutigen Krise, und versucht sich abschliessend an der Formulierung von Alternativen. Nicht wenig, und trotzdem nicht misslungen.

"Selbstdisziplinierung im Sinne der oekonomischen Logik als eine nicht mehr zu hinterfragende Primaertugend" (S. 169) ist heute eine Selbstverstaendlichkeit geworden. Ja selbst dort, wo sie ideell abgelehnt wird, gilt es ihr reell zu entsprechen. Die Geschichte des Kapitalismus ist somit auch"eine Geschichte der Installierung unseres heutigen "Arbeitsethos"." (S. 217) Nachfolgende Sekundaertugenden wie Fleiss und Tuechtigkeit, Leistung und Erfolg haben vor allem im deutschsprachigen Raum eine steile Karriere hinter sich, sind zum Um und Auf der wirtschaftlichen Kommunikation geworden. Momente von Selbstbestimmung und Musse, Genuss und Zufriedenheit sind dem nachgeordnet, ja hilflos unterlegen. Sie haben dort nichts zu suchen.

Bis in das Alltagsleben hat sich dieses Arbeitsbekenntnis festgefressen. Menschen werden vorerst ueber ihre Beschaeftigung definiert. Nicht Wer bist du? wird im allgemeinen gefragt, sondern Was machst du? Also: Womit verdienst du dein Geld, wie bedienst du diesen Fetisch. Die erstgenannte Frage scheint hingegen fast impertinent zu sein, kommt nur dann zum Zug, wenn intimere Verhaeltnisse bereits hergestellt werden konnten. Ribolits betont aber auch die gravierenden Veraenderungen in der modernen Arbeitswelt: "Die Entwicklung laesst aber gleichzeitig auch die extreme, auf Hierarchie und Arbeitsteilung beruhende industriewirtschaftliche Produktionslogik zunehmend ungeeignet werden. Denn betriebliche Ablaeufe, bei denen das optimale Ergebnis von Handlungen nicht durch eine klar definierte Ziel-Mittel-Vorgabe eingrenzbar ist, lassen sich logischerweise auch nicht mittels hierarchischer Kontrolle steuern." (S. 112) Der Taylorismus als die Realisierungsform kapitalistischer Produktionsverhaeltnisse wird obsolet. Unterwerfung wird ersetzt durch Selbstbeherrschung. Eingefordert ist die allseits flexible und selbstkontrollierte Arbeitskraft. Sie soll koennen, was ansteht. Und wollen.

Es wird nicht abgestritten, dass die Entwicklung der kapitalistischen Arbeit und die Dynamisierung der Produktivkraefte auch einiges an Emanzipation geleistet haben. Materieller Wohlstand ist eine nicht zu unterschaetzende Groesse fuer individuelles Wohlergehen. Aber: Materieller Wohlstand ist nicht individuelles Wohlergehen. ""Es ist uns noch nie so gut gegangen wie heute". Ganz typisch wird bei dieser Aussage mit einer immanenten Gleichsetzung von Warenvielfalt, materiellem Wohlstand und individuellem Glueck operiert", schreibt Ribolits, und gleich weiter: "Es spricht allerdings auch fuer sich, dass jene Menschen, denen es angeblich so gut wie nie zuvor geht, durch Plakataktionen auf diesen Zustand erst aufmerksam gemacht werden muessen." (S. 251)

Kaufen ist heute wichtiger als Konsumieren. Shoppen ist zu einem Erlebnis geworden, da kommt immer mehr nach Hause, als man vorhatte. Die Waren springen einen foermlich an, draengen sich auf, ueberwaeltigen uns. Den Surrogaten des Lebens sind wir meist hilflos ausgeliefert. Diese aeusserliche Reizueberflutung ist allgegenwaertig. Eine Welt ohne Werbung ist dem buergerlichen Individuum nicht vorstellbar. Waeren all die Flaechen abgezogen und Sendungen abgedreht, die da Glueck durch Kauf versprechen, waere wohl die Trostlosigkeit des uebriggebliebenen Rests niederschmetternd. Der Mensch wird zum Durchlauferhitzer der Waren. Motor ist das Geld, mit dem jener die Wirtschaft anheizen soll. Freizeit fungiert zur Erledigung der oktroyierten Konsumbeduerfnisse. "Fuer ganze Wirtschaftszweige stellt der "Zugriff der Freizeit" der Individuen in der Zwischenzeit durchaus eine "wirtschaftliche Ueberlebensnotwendigkeit" dar." (S. 226) Wollen die Deutschen ihren Urlaub nicht im teuren Oesterreich verbringen, aechzt die hiesige Fremdenverkehrsindustrie, geht es der ganzen Wirtschaft schlecht.

Die Krise der Arbeit wird als strukturelle wahrgenommen, eine Rueckkehr zu alten Zustaenden fuer ausgeschlossen gehalten. Maschinen fressen Arbeit. Aber sie saugen nicht nur diese ein, sondern spucken auch die Arbeiter aus. Sie befreien diese nicht bloss von monotoner Taetigkeit, sie entledigen sich ihrer ueberhaupt. Arbeitsbefreiung im Kapitalismus heisst noch immer Arbeitslosigkeit. Der nicht mehr realisierbareWert der Arbeitskraft sinkt auf Null, das davon abhaengiges Selbstwertgefuehl ebenfalls. Sie, die sich durch Arbeit definieren musste, hat nun keine mehr, was also ist sie in einer Gesellschaft, in der abstrakte Arbeitsverausgabung alles ist? Da sie nicht mehr fluessig ist, muss sie sich wirklich ueberfluessig vorkommen, wie eine Arbeits- und Geldmonade ohne Arbeit und Geld. Wobei es schon wichtig ist, sich deutlich vom Zynismus der Marktapologeten abzugrenzen. Diese wollen - so steht es in den Lehrbuechern von "lean management" und "lean production" - nur immer mehr Arbeit von immer weniger Menschen verrichten lassen. Arbeitslosigkeit ist also nicht der Beginn des individuellen Gluecks. "Den Wert der Arbeit als Medium menschlicher Sinnstiftung herunterzuspielen und davon zu schwaermen, dass ein "erfuelltes Leben" auch jenseits von (Lohn-)Arbeit moeglich ist, ohne gleichzeitig die Tatsache zu thematisieren, dass Arbeit gegen Entgelt fuer nahezu alle Gesellschaftsmitglieder derzeit die einzige Moeglichkeit ist, um ueberhaupt adaequat ueber-leben zu koennen, spiegelt den Versuch wider, das gegenwaertige System, moeglichst unangetastet von Sockelarbeitslosigkeit und sozialstaatlichem Abbau, in die Zukunft zu retten." (S. 59)

Unmittelbare Notwendigkeit und allgemeine Perspektive muessen nicht in eins fallen. Ja, sie koennen sich diametral widersprechen. So geht es einerseits nicht an, aus diesem Zwangsbeduerfnis des Einzelnen nach einem Arbeitsplatz eine gesellschaftskritische Strategie abzuleiten, wie es aber auch andererseits nicht zweckdienlich ist, dieses aus der Sicht des Einzelnen verstaendliche Anliegen als eben verkehrt zu diffamieren. Es muesste vielmehr gelingen, diesen Widerspruch zu thematisieren, die beiden Straenge aufeinanderzubeziehen und zu verknuepfen. D.h. weder zynisch den aktuellen Interessen entgegenzutreten, aber ebensowenig ihnen hinterherzulaufen.

Gegen die kapitalistische Beschleunigung ist anzukaempfen, Langsamkeit muss als Prinzip etabliert werden, es gilt nicht "Zeit zu sparen, sondern (sich) Zeit zu lassen" (S. 291). Muessiggang muss als Chance und Strategie erkannt werden: "Fuer den Menschen unserer Gesellschaft erfordert Musse jedoch dennoch einen ganz entscheidenden Verzicht, den Verzicht auf die eigene Totalvermarktung. Das Kultivieren von Musse im Sinne eines Gegenprojekts zur alles umfassenden Entfremdung beginnt mit dem Schaffen unverzweckter - "nutzloser" - Freiraeume, also von Lebensbereichen, die nicht verpfaendet werden fuer (die Hoffnung auf) spaeteres Leben, die fuer sich selbst stehen und ihren Wert aus sich selbst schoepfen. Damit ist auch klargestellt, dass es sich bei der Musse weder um eine besonders raffinierte Form des Hervorlockens schoepferischer Reserven und Arbeitsprozesse handelt, noch um Erholung oder Entspannung im Sinne einer Reproduktion von Arbeitskraft. Der Begriff Musse steht fuer unvernutztes Leben, unmittelbares Dasein und die nicht entfremdete Existenz - allerdings auch fuer die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit und der Angst vor dem Tod.

Der Muessiggaenger ist damit keinesfalls das, als was er mit dem bekannten Spruch: "Muessiggang ist aller Laster Anfang" phantasiert wird, naemlich einer, der bloss faul ist und nichts tut, sondern er ist einer, der bewusst und im "hier und jetzt" lebt und seine Existenz unter keinem anderen Aspekt als den des Da-seins stellt. Das heisst, Muessiggang ist nicht das Gegenteil von Arbeit, sondern Muessiggang ist etwas, was aus der Arbeitswelt herausfaellt, was weder in die (heutige Form von) Arbeit noch in die ihr korrespondierende Freizeit einzuordnen ist, er ist ein Zustand, der die Werte der heutigen Arbeits-Freizeit-Gesellschaft fuer sich nicht mehr anerkennt. Der Muessiggang umfasst sowohl Momente des totalen Ausatmens, des Nichtstuns als auch Momente ganz konzentrierter Taetigkeit, der lustvollen Anstrengung in dem Sinn, wie sich beispielsweise Kinder bis zur Erschoepfung anstrengen, wenn ihnen etwas Spass macht. Muessiggang meint weder Faulheit im Sinne traegen geistlosen Dahinlebens noch blinde Betriebsamkeit; er steht fuer selbstbestimmtes Handeln und fuer die ruhige Reflexion dieses Handelns." (S. 269-270)

*

Das Angenehme an Ribolits Buch ist, dass es eine voraussetzungslose Lektuere erlaubt. Dem Publikum wird weitgehend entgegengekommen, selten zuungunsten analytischer Praezision. Fuer eine Habilitationsschrift entschlaegt sie sich des ueblichen hermetischen Jargons. Es ist im besten Sinne des Wortes ein Lesebuch, fluessig geschrieben, ohne trivial zu sein.

Was in keinem renommierten Verlag erscheint, wird aber kaum wahrgenommen. Schon mal was von Ribolits oder dem Profil-Verlag in Muenchen gehoert? Wohl kaum. Daher bleibt diesem Band eigentlich versagt, was er sein koennte: eine einfuehrende Streitschrift gegen die Arbeit, ein Buch, dass man ohne Gewissensbisse weiterempfehlen kann, vor allem deswegen, weil selbst der unbeleckte Leser gute Chancen hat, sich in den Argumentationen zurechtzufinden, ihnen zu folgen.

Einige Einwaende seien trotzdem gestattet: So fragen wir uns, wann denn die Zeiten gewesen sein moegen, wo die Arbeiter nicht "Agenten des Kapitals" (S. 155) waren. Die einstige Lautstaerke des Klassenkampfs widerspricht dem nicht, bestand doch seine objektive historische Rolle in der Durchsetzung entwickelter buergerlicher Verhaeltnisse, nicht in deren Ueberwindung. Als variables Kapital im Wertverhaeltnis war die Funktion der Arbeiterklasse stets so vorpositioniert. Hier scheint Ribolits noch selbst in den Mythen der alten Arbeiterbewegung befangen. Weiters: Ist die gegenwaertige Unternehmensstrategie wirklich eine "neue", oder vollzieht sie nur bei Strafe des Untergangs die Zwangsgesetze des Kapitals? Ist dieses Handeln ein Wollen oder ein Muessen? Ist also die aktuelle Praxis der Kapitalisten, die natuerlich voellig zurecht angeprangert wird, eine moegliche Option oder die notwendige Reaktion? Ist der ehemalige Vorsitzende der oesterreichischen Metallarbeitergewerkschaft, Sepp Wille, der Wahrheit nicht naeher, wenn er im Zuge des Konfliktes der Teilliquidierung der traditionsreichen oesterreichischen Reifenfirma "Semperit" durch ihren deutschen Eigentuemer "Conti" folgendes festhaelt: "Man darf nicht nur sehen, wie ein Multi mit der Belegschaft verfaehrt. Man muss auch verstehen, wie der Weltmarkt mit einem Multi verfaehrt." (Kurier, 18. August 1996)

Was auch stoert, aber nicht alleine an Ribolits, ist die unreflektiert uebernommene, heute gaengige wie irrefuehrende Bezeichnung des Arbeiters als Arbeitnehmer, "jenes Kauderwelsch, worin z.B. derjenige, der sich fuer bare Zahlung von andern ihre Arbeit geben laesst, der Arbeitgeber heisst, und Arbeitnehmer derjenige, dessen Arbeit ihm fuer Lohn abgenommen wird". (Friedrich Engels)

*

Wer sich von Erich Ribolits einfuehren lassen sollte, sollte sich bei Gelegenheit von Robert Kurz ausfuehren lassen. Der Nuernberger Theoretiker, dem mit "Der Kollaps der Modernisierung" 1991 ein ueberraschender Politseller gelungen ist, versteht sich selbst als fundamentaler Kritiker jedweder Ontologisierung der Arbeit. In seinem nun schon sechs Jahre alten und wenig rezipierten Artikel "Die verlorene Ehre der Arbeit" wird die Krise der Arbeit als Krise der Verwertung zugespitzt, somit als Krise des Kapitalverhaeltnisses dechiffriert.

Die Aufmerksamkeit sei auf die Produktionsverhaeltnisse selbst zu richten, auf die wesenstypische Dimensionierung des Gebrauchswerts durch den Tauschwert: "Gebrauchswerte werden hier ueberhaupt nur produziert, weil und sofern sie materielles Substrat, Traeger des Tauschwerts sind", schrieb Marx bereits im Kapital. Und Kurz fuehrt aus: "Es entstand so eine blinde gesellschaftliche Maschine der abstrakten Arbeitskraft-Vernutzung, deren Tendenz dahin geht, Mensch und Natur, die gesamte erreichbare Welt, in ihren inhaltsleeren Bewegungsprozess aufzusaugen, zu verdauen, und als eine andere, tote Form der Arbeit: als Geld wieder auszuscheissen, ohne dass von diesem Formwandel abgesehen irgendeine inhaltliche Zwecksetzung der qualitativen Bestimmtheit hinzugetreten waere. Diese gesellschaftliche Maschine muss zwar stoffliche Qualitaet bewegen: Naturstoffe, Naturkraefte und lebendige menschliche Arbeit; aber diese sind nicht selber Zweck noch geht aus ihnen eine Zweckbestimmung hervor, sondern sie sind nur Mittel zum Zweck des tautologischen Rueckkoppelungsprozesses, d.h. des Selbstzwecks der abstrakten Arbeit. Es findet also eine Zweck-Mittel-Verkehrung statt: die Arbeit ist nicht mehr Mittel fuer einen qualitativ bestimmten inhaltlichen Zweck der Naturaneignung, sondern umgekehrt ist die qualitative, stoffliche Naturaneignung bloss gleichgueltiges Mittel fuer den Selbstzweck des Formwandlungsprozesses der abstrakten Arbeit. Fuer die Bewegung der gesellschaftlichen Maschine des "Werts", die sich in Geld "darstellt", ist es objektiv gleichgueltig, was mit den stofflichen, qualitativen Ingredenzien ihres gewaltigen, weltweiten Verdauungsprozesses geschieht und welche Konsequenzen dieser Prozess auf der stofflich-qualitativen Ebene hat. Die Welt wird verwandelt und umgepfluegt ohne "Sinn", weil dieser "Sinn" im Verwandeln und Umpfluegen als solchem liegt, das sich auf staendig erweiterter Stufenleiter in seiner toten Gestalt als Geld darstellen und in niemals endenden Zyklen vermehren ("akkumulieren") muss."(S. 30-31)

Die Ueberwindung der Arbeit sei in der kapitalistischen Produktivkraftentwicklung stofflich angelegt, es gelte sie nun inhaltlich aus diesen Fesseln zu befreien. Die durchaus optimistische Perspektive liest sich folglich so: ""Produktiver Muessiggang" heisst dann unter anderem, dass Naturwissenschaft und technologische Konstruktion jenseits der repititiven Arbeitskraft-Verausgabung diese in immer schnellerem Tempo ueberfluessig machen, d.h. dass der Ueberblick ueber die in Bewegung gesetzten Ingredenzien der Produktion, deren Dirigieren und deren Weiterentwicklung die Arbeitskraft-Verausgabung ueberfluegeln und an ihre Stelle treten."(S. 40) Markt und Kapital sind also nicht das Ziel oder Resultat der Geschichte, sondern "die Wertform ist bloss blindes transistorisches Durchgangs- und Uebergangsstadium im Vergesellschaftungsprozess der menschlichen Reproduktion."(S. 42)

Eine grundsaetzliche Frage von heute hat also zu lauten: Wer soll wozu (voll) beschaeftigt werden? Die Losung der Vollbeschaeftigung setzt in ihrem ungebrochenen Arbeitsfetischismus voraus, dass gesellschaftliches Auskommen an Einkommen, an die menschliche Verdingung am Arbeitsmarkt, gekoppelt sein soll. Vielmehr gilt es proklamieren: Es wird nie mehr Vollbeschaeftigung geben, die Alternativen sind jenseits der Lohnarbeit zu suchen. Die Linke muss aufhoeren, sich an den Arbeitsfetisch zu klammern. Perspektivisch geht es darum, Arbeit abzuschaffen, nicht Arbeit zu schaffen. Ein emanzipatorisches Ziel kann nicht darin bestehen, dass die Menschen voll beschaeftigt sind, sondern dass sie weniger beschaeftigt werden, damit sie sich beschaeftigen koennen, womit sie sich beschaeftigen wollen.

Gruene Akademie Graz (Hg.), Sinn von Arbeit, Werkstattschriften, Maerz 1996, 60 Seiten (Gruen-Alternativ Press 10/96; gratis anzufordern bei Gruene Bildungswerkstatt Bund, Lindengasse 40, A-1070 Wien).Erich Ribolits, Die Arbeit hoch? Berufspaedagogische Streitschrift wider die Totalverzweckung des Menschen im Post-Fordismus, Profil-Verlag, Muenchen-Wien 1995, 327 Seiten, 35 DM.Robert Kurz, Die verlorene Ehre der Arbeit, Krisis 10, Nuernberg 1991, 168 Seiten, 12 DM.

-----BEGIN PGP SIGNATURE----- Version: 2.6.2 Comment: Processed by Mailcrypt 3.4, an Emacs/PGP interface

iQCVAgUBNFiV9gnTZgC3zSk5AQHxcQP/curxw/f4ZcCy0rbR41H+dxKf8CAiYamS dUcDDgb/cPDhfT2nus7Q042INio0va0qVBevC/KWwPfjo2Lebpstbq8qH0Rr9fJo IxgwiJdNOoFfJC3XW362SGsW/nBi3gKjIo9tEOBt3l1cIbYtIjD9m4FyF4iIEXEe CsSzAK8HxK4= =rAdQ -----END PGP SIGNATURE-----

****** A-Infos News Service ***** News about and of interest to anarchists

Subscribe -> email MAJORDOMO@TAO.CA with the message SUBSCRIBE A-INFOS Info -> http://www.tao.ca/ainfos/ Reproduce -> please include this section