PRESSEERKLÄRUNG
Kommenden Montag, den 20.10.97, beginnt in Italien der Prozeß im Sinne des 129a Verfahrens (ital. §270 und §270bis) gegen einen Teil der italienischen anarchistischen Szene.
Es handelt sich hierbei um eine juristische Farce, deren Ausgangspunkt die Festnahme von fünf AnarchistInnen nach einem Banküberfall im Jahre 1994 ist.
Im Laufe des Prozesses wurde - als wäre sie vom Himmel gefallen - eine (konstruierte) Kronzeugin vorgeführt, die zwar widersprüchliche, unglaubwürdige und konkret nicht nachweisbare Aussagen machte, die aber immerhin dazu dienten die "Pentitiregelung" einzusetzen, um eine der groteskesten juristischen Konstruktionen gegen insgesamt 60 Angeklagte zu starten. Zur konstruierten Kronzeugin: Mojdeh Namsetchi, ein (damals) 19jähriges Mädchen, damalige Lebensgefährtin von einem, der wegen des Banküberfalls Festgenommenen wurde, hat - im Gegensatz zu dem was sie behauptet - weder etwas mit der anarchistischen Szene zu tun gehabt, noch war sie selbst jemals diesen Ideen zugeneigt. Nach der Festnahme von Carlo Tesseri, ihrem Freund, begann sie in einem Nachtclub zu arbeiten, da ihre finanzielle Lage nicht die beste war. In diesem Nachtclub lernte sie "aus reinem Zufall" den Maresciallo Farino kennen, tätig bei den Carabinieri. Wie in einem Märchen verliebt sie sich in diesen und wird "geständig". Soweit die offizielle Version, die versucht wird durchzusetzen; die tatsächliche Position dieses jungen und naiven Mädchen ist also diejenige, daß ihr Leben von der Repression ruiniert wurde, da sie nun unter Polizeischutz steht und kein eigenes Leben mehr hat.
Aus dem Banküberfall wird somit ein §129a Verfahren, daß unterschiedliche anarchistische Strömungen und Individuen - die teilweise bereits inhaftiert oder im Zuge dieses Konstruktes neu angeklagt sind - in eine einzige Organisation zusammenfassen will. Somit wird ein Name für die Organisation erfunden: Die "O.R.A.I." (Revolutionäre anarchistische aufständische Organisation).
Nicht nur, daß diese Organisation faktisch nicht existiert, es sind ihr auch (auf strafrechtlicher Ebene) weder Anschläge noch Programme nachzuweisen, zu denen sie sich bekannt hätte.
Damit die Justiz ein Programm dieser nicht existierenden Organisation vorweisen kann, werden einige Analysen von Alfredo Bonanno, einem bekannten italienischen Anarchisten, verdreht, in dem einzelne Sätze aus einem Kontext gerissen werden. Das selbe gilt für die Überwachungs- und Abhörmethoden, denen die Angeklagten in den letzen Jahren ausgesetzt waren. Aus Telefonaten sowie Briefen werden einzelne Sätze als "Beweismaterial" zitiert, die - aus ihrem Gesamtkontext entwurzelt - ihren ursprünglichen Sinn verlieren.
Es kommt jedoch noch härter. Am letzten Tag der Vorverhandlungen bzw. der Haftprüfung wird einem italienischen Szene-Radiosender ein Dokument zugespielt mit der Überschrift "Internes Dokument der ROS" (ROS= Sondereinheitkommando der Carabinieri, die in diesem Fall die Ermittlungen führen).
Das ca. 40 Seitige Dokument legt klar die Konstruktion gegen die Angeklagten dar. Der Radiosender läßt dieses Dokument den Anwälten der Angeklagten zukommen und sorgt für die Veröffentlichung dieses Papiers. Die RA wiederum legen dem zuständigen Haftprüfungsrichter das Dokument vor, der jedoch dessen Echtheit bezweifelt. Die RA bestehen darauf, daß eine sofortige Bürodurchsuchung dieser Abteilung der Carabinieri zu veranlassen ist, um das Original ausfindig zu machen. Die Richterschaft geht darauf nicht ein, im Gegenteil - sie ordnet eine Durchsuchung der Redaktionsräume des Radios an.
Was das Dokument der ROS betrifft: im Laufe der Ermittlungen wurden über 8.000 Akten angefertigt. Es ist auf praktischer Ebene nicht durchführbar, daß irgend ein Mensch (RichterInnen mit einbezogen) jemals die Gesamtheit aller 8.000 Akten hätte lesen können, um sich so einen genauen Überblick über die Ermittlungen verschaffen zu können. Weiterhin weist das Dokument interne Einzelheiten auf, die keinem Außenstehenden zugänglich sind - außer mensch würde davon ausgehen, daß die Polizeistrukturen oberflächliche Hampelmänner sind, die ihre internen Dokumente und Informationen jederzeit für Hinz und Kunz zugänglich machen. Dies ist nicht mal im chaotischen Italien vorstellbar, bzw. würde einen Grund mehr darstellen, den Sinn, die Seriösität und die Glaubwürdigkeit eines solchen Apparates in Frage zu stellen.
Die anwesenden Medien äußerten sich soweit dazu, daß sie nicht weiter darüber berichten werden, da ein Prozeß gegen AnarchistInnen für ihre LeserInnen uninteressant wäre.
Die Haltung der Angeklagten selbst ist die Abweisung der Hauptanklage der "bewaffneten Bande" als solche. Als individualistische AnarchistInnen verweigern sie jegliche hierarchische und festgelegte Organisationsform. Daß sich der Anarchismus auf antiautoritäre und nicht-hierarchische Methoden bezieht sowie meist (Ausnahmen sind gegebenenfalls einige gewerkschaftliche Strukturen) auf unverbindliche Organisationsformen, ist jedem Menschen bekannt, der jemals auch nur oberflächlich mit dieser Weltanschauung in Berührung gekommen ist. Die Angeklagten bekennen sich jedoch zu der einzigen Schuld, die sie haben: Die, AnarchistInnen zu sein.
Es handelt sich also folglich um einen Prozeß gegen die Idee der Anarchie, unabhängig davon, ob EINZELNE Individuen - auf persönlicher Ebene - die eine oder andere Tat begangen haben, die im Gesetz als strafbar verankert ist.
Es stellt sich also nicht die Frage, wer etwas "illegales" gemacht hat oder nicht, sondern daß es auf keinen Fall eine hierarchische Organisation mit Untergrundstrukturen gibt, so wie sie von der italienischen Staatsanwaltschaft als "bewaffnete Bande" im Kontext des italienischen §270bis konstruiert wurde.
---Über das Solidaritätskomitee Italien sind Broschüren in italienischer, deutscher und englischer Sprache erhältlich, die näher auf die Einzelheiten dieser grotesken Konstruktion eingehen und genauere Infos geben.
Im übrigen suchen wir weiterhin Radiosender, die bereit sind, sich mit den italienischen Radios in Verbindung zu setzen, um auch auf internationaler Ebene Öffentlichkeit zu schaffen, sowie einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin, die sich gegebenenfalls an das italienische RA-Forum anschließen würde, dies auch als ProzeßbeobachterIn. Wir müssen dazu vorab sagen, daß das RA-Team auf rein technischer Ebene arbeitet, daher keine Prominenzen wie KünstlerInnen, PolitikerInnen oder MenschenrechtlerInnen diesem Prozeß beiwohnen.
Die Erfahrung des Prozesses in Amerika von "Sacco und Vanzetti" verdeutlichte, daß durch so einen Medienrummel die Inhalte und Weltanschauungen der Angeklagten untergegangen sind. Das ist nicht Sinn der Sache. Es wird für eine sachliche Vorgehensweise plädiert, also weder das Verschweigen, noch die Übertreibung oder falsche Sympathie der bürgerlichen Medien gegenüber der Öffentlichkeit.
Solikomitee Italien
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