(de) Prozeß Marini: Das Konstrukt geht weiter...

Freddy Krueger (freddy@mail.nadir.org)
Mon, 17 Nov 1997 00:48:48 +0000


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Das Konstrukt geht weiter...

Am 1.12.1997 findet der zweite Prozeßtag gegen 58 AnarchistInnen statt, die angeklagt sind eine terroristische Vereinigung (O-Ton: "Bewaffnete Bande") gebildet bzw. unterstützt zu haben.

Eine Junge Frau wurde von den ErmittlerInnen dieses Falles instruiert als Kronzeugin aufzutreten und alles das auszusagen, was die sie gerne hätten. Als juristische Basis hält dafür die sogenannte "Pentitiregelung" her, ein Gesetz, das zur Zeit der Roten Brigaden (eine Stadtguerrilla ende der 70er Jahre) eingeführt wurde, um Personen, die ihre Vergangenheit angeblich dermaßen bereuhen, daß sie zu gemeinen VerräterInnen werden, weitestgehende Straffreiheit, ZeugInnenschutz usw. im Tausch gegen eine allumfassende Aussage zu bieten. Diese angebliche "Pentita" ist aber weder eine Anarchistin noch hat sie GenossInnen gehabt, die sie verraten könnte, sie ist schlichtweg eine Marionette der ErmittlerInnen um den Angeklagten alles mögliche anzuhängen, was gerade passend erscheint.

Dank den zusammengebastelten Aussagen dieser angeblichen Kronzeugin, konnte der römische Staatsanwalt und Richter ANTONIO MARINI unsere GenossInnen beschuldigen, im Rahmen dieser erfundenen "bewaffneten Bande" diverse Banküberfälle zur Geldbeschaffung, diverse Bombenschläge, Waffenhandel, Waffenschmuggel und "Erpresserischen Menschenraub" begangen zu haben.

All diese Straftaten, die den GenossInnen nun angehängt werden sollen, sind die unaufgeklährten Fälle der letzten Jahre. Offensichtlich hat die Justiz nur auf eine Gelegenheit gewartet, den Ruhm und die zweifelhafte Ehre der italienischen Justizbehörden in der Öffentlichkeit weiter aufzumöbeln, wie sie es in den letzten Jahren mit den Korruptionsprozessen gegen SpitzenpolitikerInnen der großen Parteien bereits versucht hatten. Mensch wird wohl noch die Bilder der Sogenannten "anti-Mafia-Richter" in Erinnerung haben, die "guten" Richter mit den weissen Westen und den "Sauberen Händen".

Ende 1994 wurden fünf AnarchistInnen verhaftet, die aus persönlicher Finanznot einen Banküberfall in Norditalien begangen hatten. In diesem Verfahren wurde die falsche Kronzeugin zum ersten Mal eingesetzt, mit einem gewissen Erfolg: aus einem Banküberfall wurden plötzlich drei.

Die ErmittlerInnen begannen, eine große terroristische Vereinigung um diese fünf GenossInnen herum zu konstruieren, basierend auf den Aussagen der angeblichen Pentita und unter Berufung auf Zitate aus diversen Texten, die in verschiedenen anarchistischen Zeitungen und Publikationen im laufe der letzten Jahre veröffentlicht wurden.

Am meisten wurden Textstellen aus einem Zeitungsartikel benutzt, erschienen in der Monatszeitschrift "Anarchismo", mit dem Titel "Neue Entwicklungen des Kapitalismus": In diesem Artikel analysiert der Autor die weltweite - und insbesondere europäische - gesellschaftliche Situation in diesem Jahrzehnt und versucht, möglichkeiten des Kampfes gegen die bestehende Ordnung zu entwickeln.

Dieser Artikel wurde kurzhand von den ErmittlerInnen zur "programmatischen Grundlage" der angeblichen Terroristischen Vereinigung gekürt, und eine Zwischenüberschrift daraus wurde sogleich ihr Name: "Aufständische anarchistische revolutionäre Organisation" - kurz ORAI.

Weiterhin entnahmen sie dem Text einzelne Wörter und Satzfetzen, die sie so zusammenlegten, daß sie eine "Organisierung auf zwei Ebenen" konstruieren konnten, "eine interne, offenbar versteckte und illegale Ebene, geschützt von einer "zweiten Ebene", die sichtbarer ist, ideal um "sich in der sozialen Umgebung zu tarnen und um gemeinsam mit andern umstürzlerischen Subjekten in gefährlichen kriminellen Vereinigungen zu wirken" (Zit. aus der Presseerklärung der Carabinieri vom 17.9.96 zur damaligen Hausdurchsuchungswelle gegen AnarchistInnen in ganz Italien).

Das von solcherlei Organisationsstruktur im Ausgangstext nicht die Rede ist, und daß der Autor - inzwischen von der Anklage als "Anführer" der "Bewaffneten Bande" dargestellt - hierarchische Organisationsmodelle und Untergrundstrukturen - wie sie seit 20 Jahren von Guerillagruppen marxistischer Prägung in diversen Ländern genutzt werden - entschieden ablehnt, braucht wohl keinem Menschen, der/die sich auch nur ein wenig mit der Idee der Anarchie auseinandergesetzt hat, erklärt zu werden. Weiterhin haben alle betroffenen AnarchistInnen ihre Kritik gegenüber solchen Strukturen in den Zeitungen der Bewegung und während diverser Treffen in der Politszene geäußert, womit die Anklage im vollen Widerspruch zu den Fakten steht.

Dieser Prozeß hat sich folglich seit den ersten Haftprüfungsterminen als ein politischer Prozeß, als eine Anklage gegen die Idee der Anarchie erwiesen, auch wenn uns die ErmittlerInnen etwas anderes glaubhaft machen wollen.

Am 20.10.1997 fand der erste Prozeßtag im Bunkergerichtssaal in Rebibbia (bei Rom) statt; es wurden lediglich technische Dinge wie die Mandate der RechtsanwältInnen abgeklärt und diverse Anträge der Verteidigung eingereicht. Der Prozeß wird sich - bei diesem Tempo - wohl noch einige Jahre in die Länge ziehen.

Dafür gab es in der Welt diverse Solidaritätsaktionen zum Prozeßauftakt: in den USA gab es eine Demonstration vor der italienischen Botschaft in New York und zwei kleinere Aktionen in Austin (Texas) und Washington; in Griechenland fand ein Bombenattentat gegen die italienische Fluggesellschaft Alitalia statt, das im BekennerInnenschreiben explizit als Solidaritätsakt für unsere GenossInnen bezeichnet wurde; GenossInnen aus der Schweiz wohnten dem Prozeß bei und mehrere freie Radios aus diversen europäischen Staaten verfolgten den Prozeßauftakt.

Am 31.10. wurden zwei GenossInnen aufgrund eines Verfahrensfehlers vorläufig freigelassen - sie saßen 13 Monate "illegal" im Knast, weil sie nicht binnen 5 Tage nach ihrer Verhaftung dem Haftprüfungsrichter vorgeführt wurden. Genauere Infos liegen noch nicht vor.

Inmitten des Berges von ca 8000 Akten, die sich alle mit dem Konstrukt befassen, hat ein Justiz-internes Dokument eine hervorstechende Rolle, weil in diesem Dokument die römische Sektion einer Polizei-Sondereinheit (ROS - Reparti operativi speciali = SEK) die Ermittlungs- und Prozeßergebnisse gegen die Szene darlegt, der die 58 angeklagten GenossInnen zugeordnet werden.

Dieses Dokument wurde einem freien Radio in Turin anonym zugespielt. Es wurde den AnwältInnen der GenossInnen übergeben, die es dem Haftprüfungsrichter vorlegten. Der hielt das Dokument jedoch für eine Fälschung und ordnete die Durchsuchung der Redaktionsräume des Radios an. Das Dokument war zu dem Zeitpunkt aber bereits veröffentlicht, liegt bisher aber leider nur in italienischer Sprache vor.

In diesem Papier wird der kriminalisierten Szene eine weitgehende gesellschaftliche Irrelevanz bescheinigt, dafür sei sie aber aus strafrechtlicher Sichtweise um so gefährlicher. Es werden Namen über Namen genannt und Angriffsmöglichkeiten überlegt, um aus einem unorganisierten Zusammenhang eben diese terroristische Vereinigung zu konstruieren, die jetzt die Hauptanklage gegen unsere GenossInnen darstellt.

Die anarchistische Bewegung in Italien wird von der Justiz in "gute" und "böse" AnarchistInnen bzw. in AnhängerInnen des "klassischen Anarchismus" und des "terroristischen Anarchismus" geteilt: Die Bösen sind die jetzt angeklagten, zu den Guten gehört z.B. die FAI (Anarchistische Föderation Italien), eine Organisation nach altem, synthetischen Muster mit festen Mitgliedschaften, Statut und Jahreskongressen, Feierabendrevoluzzer die nicht viel mehr machen als der guten, alten Zeit nachzutrauern (z.B. Spanien 1936).

Die FAI gab sich gleich zu Beginn der Repressionswelle, genau genommen eine Woche nach der großen Hausdurchsuchungswelle am 17.9.96, die Ehre sich sowohl von der Bullenaktion als auch von den betroffenen GenossInnen zu distanzieren, indem sie auf ihrem Kongreß in Carrara am 21/22.9.96 eine Stellungnahme dazu verabschiedete:

Dieser Stellungnahme zufolge "hegen" die aufständischen GenossInnen "den Mythos des Illegalen" und "stellen sich nicht dem Problem der revolutionären Überwindung der Ordnung selber". Die FAI suhlt sich dann noch ein wenig im Eigenlob und gibt einige Statements zu ANTONIO MARINI ab, dem Erschaffer des ganzen Konstruktes, der sich als Ziel gesetzt hat, vor der Rente noch "eine Terroristenbande einzuknasten".

Die verfolgten GenossInnen berufen sich auf die permanente Konfliktualität (die Kompromißlosigkeit mit dem Staat), was hierzulande mit der Parole "Aufruhr, Widerstand, es gibt kein ruhiges Hinterland" beschrieben werden könnte - also ein immer wieder stattfindender Angriff auf HERRschende Strukturen mit dem Zweck, den Widerstand anzutreiben und aktiv für eine Entwicklung der gesamtgesellschaftlichen Situation in Richtung einer revolutionären Zerstörung der bestehenden Ordnung einzutreten. Das Konzept der permanenten Konfliktualität geht bis in den eigenen Alltag und den Umgang unter GenossInnen hinein.

Daß die Justiz in Italien etwas gegen diese zerstörerischen Angriffe gegen Strukturen und Organisationen der HERRschenden Ordnung hat ist klar, ebenso das sie aufgrund der Bedrohung für die HERRschende Ordnung, die von der Idee der Anarchie ausgeht, so viele AnarchistInnen einsperren will wie sie nur kann.

Aber daß die FAI in Ihrer Stellungnahme den verfolgten GenossInnen ein "Hegen des Mythos des Illegalen" attestiert und meint, diese seien nicht revolutionär, kann nur so verstanden werden daß sie sich selbst als reformistische Strömung in der weltweiten anarchistischen Bewegung outen.

Es ist wohl jedem Menschen klar, daß die HERRschenden jeden Versuch als illegal definieren, der zur revolutionären Veränderung der bestehenden Ordnung unternommen wird: jede Aktion, die nicht von tragenden Strukturen durchgeführt wird oder zumindest von ihnen kontrolliert wird, seien es Gewerkschaften oder Parteien, wird unweigerlich mit massiver Repression konfrontiert werden, wie z.B. der Widerstand gegen die Atommüll-Transporte und direkte Aktionen gegen Nazis hier in Deutschland zeigen.

Feierabendrevoluzzer wie z.B. die FAI berufen sich lieber auf die Internationale Solidarität mit revolutionären Bewegungen irgendwo anders in der Welt, desto weiter weg, desto besser, weil dann braucht mensch hier vor Ort, wo mensch wohnt, ja nichts zu machen und geht so nicht das Risiko ein, selbst etwas zu riskieren oder von der Repression betroffen werden zu können. Demonstrationen, die meistens als regelrechte Trauermärsche vonstatten gehen, mögen vielleicht dazu beitragen, das eigene Gewissen zu beruhigen, ändern aber nichts an den HERRschenden mißständen. Das soll nicht heißen, internationale Solidarität hätte keinen Sinn, fraglich sind aber die Kampfformen und deren gegenwärtige Einseitigkeit.

Die beste Solidarität mit den Unterdrückten in anderen Teilen der Welt ist immer noch die, dort wo wir leben - in unserem Falle also innerhalb der Festung Europa - die HERRschende Ordnung aktiv anzugreifen und zu sabotieren, wodurch wir sowohl hier, als auch überall dort, wo die hiesigen HERRschenden ihre Finger im Spiel haben, einen Schritt weiter in Richtung einer revolutionären Zerstörung der globalen kapitalistischen Situation kommen.

Solidaritätskomitee Italien

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Neuste Infos zum Stand der Repression gegen AnarchistInnen in Italien: http://www.tao.ca/~lgh/italien/index.html

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